Text zur Ausstellungseröffnung am 30. Jahrestag der Unabhängigkeit Angolas in der Zentralbiliothek, Bremen – 11. 11. 2005
Regina Gramse
Conexionismo – Àlvaro Macieiro und Horst Poppe 

Ein Journalist aus Luanda, Àlvaro Macieira und ein Ingenieur aus Bremen, Horst Poppe verbindet eine enge Freundschaft, die mit einer langjährigen beruflichen Tätigkeit Horst Poppes in Angola begann und die einen höchst lebendigen Ausdruck in ihrer gemeinsamen Malerei findet. (...) Sie malen also nicht gemeinsam an einem Bild, sondern jeder bearbeitet seine Leinwand, wobei die Bilder zwischendurch schon mal zusammen liegen und "Übergriffe" auf nachbarliches Terrain möglich sind; die fertigen Bilder werden dann zu einem Diptychon kombiniert.

Was sind die Inhalte dieser besonderen Form des Dialogs, was unterscheidet die bildnerische Sprache der beiden Maler?

Ihre Motive leiten Àlvaro Macieira und Horst Poppe von plastischen Bildwerken verschiedener Stämme Angolas ab, wobei sie besonders fasziniert sind von der Kunst der Chokwe, die im Nordosten Angolas leben. Sie nehmen auch gerne Elemente der nordwestlichen Kongo-Kultur auf, wie die Spiegel- und Nagelfetische " nkissi–nkonde ", die als Reliquiarfiguren Andenken von Toten oder Medizin bewahren und die, versehen mit Nägeln, die man zur Besiegelung eines Vertrages in die Figur schlägt, über die Einhaltung von Gesetzen und Verträgen wachen.

Von den unterschiedlichen Maskentypen der Chokwe interessieren Àlvaro Macieira und Horst Poppe ganz besonders die Tanzmasken.

Angesichts ihrer dreidimensionalen Modelle stehen Àlvaro Macieira und Horst Poppe als Maler vor der Aufgabe, mit Linie und Farbe flächige Äquivalente für die expressive Plastizität der Fetische und Masken zu finden. Dieses Problem bewältigen sie auf sehr unterschiedliche Weise. Durch die Einheit im Farbklang und die beiden gemeinsame Nahsicht der Motive, sehen die beiden Tafeln ihrer Diptychen auf den ersten Blick oft sehr ähnlich aus, aber je genauer man hinsieht, umso deutlicher zeigt sich eine in vielen Arbeiten geradezu gegensätzliche Darstellungsweise.

Horst Poppe konzentriert sich meist auf einzelne Figuren oder Masken. Mit nuancierten Farben und fließenden Übergängen arbeitet er in unterschiedlichen Abstraktionsgraden das Typische seines Modells heraus, wobei der Akzent mal mehr, mal weniger auf formalen Besonderheiten oder auf den Ausdruckswerten liegt. Ich denke, dass es ihm darum geht, die vitalen Kräfte und das magische Charisma seines afrikanischen Motivs malerisch zu definieren. In diesem Sinne geht er analytisch vor. In mwana pwo thematisiert er die Schönheit der "jungen Frau" und hebt ihre Plastizität hervor, indem er sie mit einer filigranen Sandzeichnung (einem wichtigen Element der Chokwe-Kultur) kontrastiert, während er in nzila ya mukixi durch den dramatischen Farbkontrast von Rot und Schwarz und durch eine Reduktion der Maske auf ihre expressiven Grundzüge den gruseligen Ausdruck der Ahnenfigur steigert.

Àlvaro Macieira hat viel zu erzählen: er versammelt stilisierte Menschenköpfe, Hände und Masken, Säugetiere und vor allem Vögel zu einer flächig-ornamentalen und gleichzeitig expressiven Figuration, in die er z.B. Vasen oder - viel häufiger -  Kreisformen einfügt, die mit Sternen, Spiralen, Sonnen und anderen Symbolen des Kosmos und der Bewegung ausgefüllt sind. In mwana pwo reagiert die kleine Schar freundlich, sogar etwas lüstern, auf die junge Schöne und in nzila ya mukixi mit Abwehr und Erschrecken auf das Ahnenbild, dessen Furcht erregenden Ausdruck Horst Poppe so wirkungsvoll inszenierte.

Àlvaro Macieira kombiniert stilisierte organische mit geometrischen Elementarformen, vor allem mit Kreisen und Dreiecken, wobei er die Einzelheiten zu einer rhythmisierten Ganzheit verbindet.

Seine lineare Darstellungsweise und einige seiner Gestalten mögen an Klee und Picasso erinnern, zwei europäische Künstler, die Àlvaro Macieira auch besonders schätzt - doch: So wie die erste Generation der europäischen Primitivisten die Stammeskunst Afrikas und Ozeaniens nicht nachbildete, sondern das wenige, was damals zu sehen war, in ihrem Bildgedächtnis sammelte, um Neues daraus zu schöpfen, so bewahrt Àlvaro Macieira Picassos Lösung der Entfaltung von Plastizität in der Fläche und Klees musikalische Linearität in seinem Bildgedächtnis und macht sie fruchtbar für seine eigene flächig-dekorative Rhythmik. Er betont den dynamischen und kollektiven Kontext der Tanzmasken. (...)

Ihr Begegnung in der Kunst setzt eine interkulturelle, europäisch-afrikanische Selbstreflexion voraus; aus dieser ergibt sich eine gemeinsame Ebene, konkret eine Bildebene, auf der ihre unterschiedlichen Temperamente spontane, im Umgang mit der Farbe lustvolle, Reaktionen auf die Stammeskunst zum Ausdruck bringen.

(...)

Eine Schlüsselfigur dieser Ganzheitlichkeit scheint mir die von Àlvaro Macieira und Horst Poppe oft gemalte Yaka-Maske, die als eine allgemeine Kulturmaske gilt. Diese in jedem Werk der Stammeskultur vergegenständlichte Einheit von Mensch, Tier und Kosmos ist der immer noch faszinierende utopische Gehalt der primitiven Kunst, von dem Àlvaro Macieira in seinen figurenreichen Erzählungen gleichsam episch erzählt, während Horst Poppe in dramatischer Zuspitzung auf die magische und energetische Potenz der einzelnen Figur verweist.

Mit der Nahsicht, der Reihung und Wiederholung der Motive haben ihre Diptychen etwas Rituelles – wie die Masken, von denen sie herkommen. Doch können ihre Figuren bei aller Nähe zu den Fetischen und Masken selbst nicht mehr Geister einer Vermittlung zwischen Mensch und Natur sein. Sie wurden zunehmend Gestalten, die drängend am Bildrand stehen, die in pwholo zola Münder wie offene Wunden haben, deren Gesichter schmerzhaft verzerrt wirken - wie in mpemba-mdombi -, die immer öfter mit weit aufgerissenen Mündern die Zähne zeigen und wie Hilfe erbittend, die Hände zum Himmel heben – sie  wirken traurig, anklagend oder aggressiv. (...)

Àlvaro Macieira und Horst Poppe haben das manchmal etwas Folkloristisch-Dekorative ihrer ersten Arbeiten längst hinter sich gelassen, zugunsten einer ausdrucksvollen Spannung zwischen der Schönheit der Malerei, der Kraft der Masken und den Widersprüchen der Realität